Seit nunmehr fünf Jahren, glaube ich, entsteht monatlich eine neue Kolumne „ampliFY“ im Mountainbike Rider Magazine, einem Magazin, dem ich inzwischen als Chefredakteur diene. Damit die Texte nicht alle verschenkt sind, habe ich mich entschlossen, sie partiell auf dieser Seite zu teilen; die Hoffnung, dass sie etwas Kurzweil produzieren, gebe ich optimistisch weiter.
Es ist kalt. Die Luft ist voller kleiner, ekliger, halb gefrorener Wassertropfen, die dieselbe Mentalität haben wie die chronischen U-Bahn-Radikalen, die völlig ziellos über den Bahnsteig fallen, nur um sich mir plötzlich in den Weg zu stellen. Die Wassertropfen sind da fast schon angenehm, ihnen muss man wenigstens nicht erklären, was sie alles falsch machen, denn sie können ja nichts hören. Denke ich mal. Denken können sie natürlich auch nicht, aber das haben sie wohl mit den Freien U-Bahn-Radikalen gemeinsam. Aber ich schweife ab.
Also noch mal. Es ist kalt. Die Luft ist voller ekliger, halbgefrorener Wassertopfen, die bitzelnd im Gesicht einschlagen, um sich dann in dem Trauerspiel festzusetzen, der mein Winterbart ist. Ich stehe mit meinem Bike mitten im Wald, transpiriere die Biere von gestern Abend durch meine viel zu dünne Oberbekleidung und verfluche den Kumpel, der mich vor die Tür gelockt hat.
Er ist einer dieser übermotivierten Wintersportler, die einfach nicht akzeptieren wollen, dass es auch mal Tage gibt, an denen man einfach zuhause bleiben kann. Klar muss man fit für die neue Saison werden, aber muss das denn ausgerechnet an so einem Tag sein? Leider bedeutet ablehnen Schwäche zeigen, deswegen lasse ich mir nichts anmerken und fahre eben mit. Würde ja schon nicht so schlimm werden. Wurde aber schlimmer.
Nicht genug damit, dass der Kerl mich überhaupt vor die Tür bekommen hat. Auf dem Weg zum Trailhead will dieser Bergauffanatiker auch noch zeigen, wie weit er mit seiner Vorbereitung schon ist. Mit konstanten 1000 Watt ballert er also den Berg hoch und schwadroniert dabei über seine Schulter hinweg mit mir. Ich bin Jacks wortlose Wut, sein hochroter Kopf und noch so ein paar andere Dinge, vor allem aber Helenes Superhit: Atemlos. Merkt der Vogel zum Glück nicht, weil er beim Hochstrampeln und Mich-voll-Labern außerdem noch auf seiner tollen neuen GPS-Uhr herumdrücken muss. Natürlich folge ich ihm auf Strava und weiß daher, was für Touren er so fährt. Ich wusste nur nicht, was deren Dokumentation für einen Aufwand mit sich bringt und dass man dafür anscheinend zum Uhren-DJ werden muss. Als ob die Teile das im 21. Jahrhundert nicht von alleine könnten.
Naja, wir kommen dann irgendwann weiter nach oben und ich transpiriere wie beschrieben vor mich hin, als mein Trainingspartner mich anschaut und anscheinend auch der Dampfschwaden gewahr wird, die von mir aufsteigen. „Weißt du, Fy“, sagt er zu mir in diesem lehrerhaften Ton, der mir der liebste bei freundschaftlichen Unterhaltungen ist, „du solltest wirklich mal darüber nachdenken in die richtige Funktionskleidung zu investieren. Ich kann dir meine Multi-Softshell-3D-Foam-Jacke wärmstens empfehlen, wortwörtlich, hahaha.“ „Hahaha“, mache ich, sonst lasse ich den Dampf für mich sprechen. „Ich sag’ ja nur“, sagte er nur. „Ich weiß“, entgegnete ich. „Wollen wir weiter?“
Wir fahren also weiter und sind kurz darauf am Trailhead angekommen. Ich hole meinen Rucksack vom Rücken und krame darin nach meinen Schonern; nehme einen Schluck gräßlich süßer Plörre und versuche den Geschmack mit einer Banane zu verscheuchen. Er (mein Trainingspartner) schaut mich schon wieder so an.
„Waff?!“, maule ich mit vollem Mund. „Nix, nix“, sagt er. Und kurz darauf: „Aber du würdest deinen Körper deutlich besser unterstützen, wenn du dir anständige Riegel holen würdest. Hier, probier mal einen von meinen!“ Er wirft mir ein in silbrige Folie und stechende Neonfarben gehülltes Etwas zu. Ich schaue ihn skeptisch an, er nickt, ich öffne die Packung. Ein chemischer Geruch schlägt mir entgegen und ich muss würgen. „Schmeckt besser, als er riecht!“, wird mir versichert. Ich beiße ab.
Nachdem ich Getränk, Banane und essbaren Uranbrennstab in das taunasse Unterholz erbrochen habe, geht es endlich weiter. Ich lege grummelnd meine Schoner an, schnalle alles an mir fest, rücke meinen Helm zurecht, stelle Dämpfer und Gabel auf „Vollgas“ und dehne mich. Kurz bevor ich meine vom Anstieg gelangweilten Muskeln mit voller Wucht in die Pedale treten lassen will, höre ich hinter mir ein Husten und drehe mich um.
„Ja, weißt du – ich denke, ich fahre den gleichen Weg runter und mach noch ein paar Intervallsprints. Für die Vorbereitung, du weißt schon.“ Ich schüttele den Kopf und entgegne, eisig wie die Wassertropfen in meinem lichten Winterbart: „Warum kann man mit dir eigentlich nicht einfach ganz normal Fahrrad fahren?“ Als ich schon auf dem Trail bin steht er noch ein paar Sekunden da, in meinen Dampf gehüllt. Dann frisst er noch einen seiner Kotzriegel und rollt quietschender Weise auf der Waldautobahn ins Tal. Manche Leute sind wirklich einfach nur nervig.
Fy.